Bundesinstitut für Sportwissenschaft

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05.08.2014 Interview mit Prof. Tegtbur

Das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) förderte das dreijährige Forschungsvorhaben „Längsschnittstudie zur belastungsinduzierten Anpassung, Schädigung bzw. Degeneration der Schulter bei Rollstuhlathleten/-innen“, welches unter Leitung von Prof. Dr. Uwe Tegtbur (Medizinische Hochschule Hannover) durchgeführt wurde. Zum Abschluss des Forschungsprojektes führte die Mitarbeiterin des BISp, Frau Andrea Eskau, das folgende schriftliche Interview mit Herrn Prof. Tegtbur.

Eskau: Mit der Einreichung des Abschlussberichts zum Forschungsprojekt wurden die Arbeiten an diesem Projekt offiziell abgeschlossen. Wie war der Projektverlauf im Allgemeinen aus ihrer Sicht?

Tegtbur: Die stark an den Betreuungsalltag der rollstuhlfahrenden Athleten angelehnte Studie war erheblich aufwändiger als geplant. Kader- oder mannschaftbezogene Gruppenuntersuchungen ließen sich nicht umsetzen, so dass alle Testungen für den Einzelfall organisiert wurden.

Eskau: Gab es größere Probleme während des Projekts zum Beispiel bei der Rekrutierung der Probanden, im Zeitverlauf oder bei der methodischen Umsetzung? Wenn ja, wie sind sie diesen begegnet?

Tegtbur: Die Rekrutierung der Rollstuhlsportler war schwierig. Die Kontrollgruppe der Rollstuhlsportler sollte „inaktive“ Rollstuhlfahrer umfassen. Im jüngeren und mittleren Lebensalter gibt es kaum Rollstuhlfahrer, die nicht regelmäßig Sport treiben. Unterstützung erhielten wir durch die Netzwerkstrukturen der Verbände und Vereine.

Eskau: Ziel der Studie war es, pathologische Veränderungen mit bildgebenden Verfahren sowie mit funktionellen Untersuchungen sowie Determinanten der Schulteranpassung zu diagnostizieren. Welche Untersuchungen bzw. Methoden kamen dabei zum Einsatz?

Tegtbur: Die Untersuchungen umfassten spezifische Fragebögen und Funktionsteste wie WUSPI, Constant Score; Isokinetische Kraftdiagnostik und die Kernspintomographie

Eskau: Die gewonnenen Erkenntnisse der Studie konnten die von Ihnen aufgestellten Hypothesen nicht bestätigen. So zeigen Leistungssportler/-innen im Rollstuhl, gemessen im Constant Score eine bessere Schulterfunktion im Vergleich zu der Rollstuhlkontrollgruppe. Waren Sie von diesen Ergebnissen überrascht?

Tegtbur: Überrascht ja, aus sportlicher und gesundheitlicher Sicht ist dies ein sehr positives Ergebnis für die Sportler.

Eskau: Worauf könnte die festgestellte, bessere Schulterfunktion der Leistungssportler/-innen gegenüber der Rollstuhlkontrollgruppe, zurückzuführen sein?

Tegtbur: Ursachen für die Unterschiede sind wohl das regelmäßige und strukturierte Training mit enger Anbindung an physiotherapeutische und sportmedizinische Institutionen bei den Hochleistungssportlern. Das höhere Alter und Körpergewicht der rollstuhlfahrenden Kontrollgruppe sollte als Grund für die schlechtere Schulterfunktion in Erwägung gezogen werden.

Eskau: Auch die Hypothese, dass Rollstuhlathleten/-innen einen stärkeren Progress der im MRT-diagnostizierten Auffälligkeiten bei einem stärkeren Rückgang der Maximalkraft zeigen, verglichen mit der nicht-sporttreibenden Kontrollgruppe und der nichtbehinderten Kontrollgruppe (Sporter/-innen aus Ausdauersportarten mit hohem Oberkörpereinsatz), konnte nicht bestätigt werden. Worauf könnten die Unterschiede bei der Anzahl der Pathologien zwischen Sportlern/-innen und der Rollstuhlkontrollgruppe zurückzuführen sein? Sind hier eventuell Empfehlungen ableitbar?

Tegtbur: Auch hier scheint die hohe Stabilität der Schulter des Rollstuhlathleten ausgesprochen präventiv zu wirken. Außerdem erhalten die Athleten, basierend auf dem Betreuungssystem im DBS, umgehende Therapie im Verletzungsfall und stetige Aufklärung und Schulung über präventive Maßnahmen. Von den Ergebnissen abgeleitete Empfehlungen sind die Intensivierung der Kooperationen mit medizinischem und sportwissenschaftlichem Fachpersonal zur Sensibilisierung und Aufklärung der Rollstuhlsportler. Außerdem sollte ein ausgewogenes Kraft- und Ausdauertraining mit Einbeziehung aller Bewegungsgrade (Ante-/Retroversion, Ab-/Adduktion, Innen-/Außenrotation) erfolgen.

Eskau: Im Längsschnitt haben Sie einen generellen Rückgang der Scorewerte im Wheelchair User´s Shoulder Pain Index verzeichnet. Welche Gründe könnte es hierfür geben? 

Tegtbur: Die postive Entwicklung sehen wir begründet in intensiven physiotherapeutischen Übungen, dem ausgewogenen Training und besseren Verhaltensweisen im Alltag im Verlauf der Beobachtungsjahre.

Eskau: Die erhobenen Daten zum Kraftniveau sowie der Constant Score blieben über zwei Jahre unverändert und auch der Gesamtscore zur Beschreibung der Pathologien im MRT veränderte sich nicht signifikant. Würden Sie in der Konsequenz den gewählten Untersuchungszeitraum kritisch betrachten? Würden Sie weitere Messungen zu einem späteren Untersuchungszeitraum für sinnvoll und notwendig erachten?

Tegtbur: Messungen zu einem späteren Untersuchungszeitpunkt zur Verifizierung der Bedeutung des Alters auf die Entstehung von sowohl klinischen Symptomen als auch Pathologien in der bildgebenden Diagnostik halten wir für dringend notwendig. Nachuntersuchungen sollten nach 5 und ggf. nach 10 Jahren erfolgen.

Eskau: Haben sich generell neue Forschungsfragen durch die Ergebnisse des Projektes ergeben bzw. bedürfen bestimmte Fragestellungen einer weitergehenden Analyse?

Tegtbur: Weiterführende Fragestellungen sind die Langzeitentwicklung der Schulterstrukturen im Hochleistungssport, die Spezifizierung von Kraftnormativen für Rollstuhlfahrer, die Beurteilung der physiotherapeutischen Maßnahmen  auf die Schulterfunktion sowie die Beurteilung von Inhalten des Krafttrainings auf die Schulterfunktion. Im Langzeitverlauf im Rollstuhlsport ist auch die Beziehung von Determinanten im Hochleistungssport mit psychosozialen Aspekten sehr interessant.

Eskau: Können aus den Ergebnissen generelle Empfehlungen für Rollstuhlfahrer/-innen bzw. rollstuhlfahrende Leistungssportler/-innen abgeleitet werden?

Tegtbur:

Die Diagnostik im Rahmen von Kaderuntersuchungen der Rollstuhlathleten könnte angepasst werden. Konkret wären das jährlich:

  1. objektivierende Kraftuntersuchung für Abduktion, Ante-, Retroversion sowie Innen- und Außenrotation im Rahmen einer Isokinetischen Untersuchung
  2. Constant Score zur Beschreibung der Schulterfunktion
  3. Wheelchair Users Shoulder Pain Index im Rahmen der Anamnese

Bildgebende Diagnostik wie MRT oder Sonographie ist nicht in der Untersuchungsroutine anzuwenden und sollte als weiterführendes Diagnostikum angewendet werden.

Präventive Maßnahmen:

  1. Kooperationen mit medizinischem und sportwissenschaftlichem Fachpersonal zur Sensibilisierung und Aufklärung der Rollstuhlsportler
  2. ausgewogenes Kraft und Ausdauertraining mit Einbeziehung aller Bewegungsgrade (Ante-/Retroversion, Ab-/Adduktion, Innen-/Außenrotation)
  • Enge Anbindung an sportmedizinische Versorgung zur direkten therapeutischen Intervention bei Überlastungserscheinungen
  • Kontrolluntersuchungen 2 Jahre nach Karriereende zur Vermeidung von Langzeitschäden

Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen! 

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