Prof. Dr. Wildor Hollmann verfasste für die Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Jahrgang 58, Nr. 12 (2007), das Editorial „Bundesinstitut für Sportwissenschaft – Quo vadis?“.
Zu den darin getroffenen Aussagen nimmt Professor Dr. Helmut Digel im einem Kommentar Stellung.
Prof. Dr. Wildor Hollmann verfasste für die Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, Jahrgang 58, Nr. 12 (2007), das Editorial „Bundesinstitut für Sportwissenschaft – Quo vadis?“.
Zu den darin getroffenen Aussagen nimmt Professor Dr. Helmut Digel im folgenden Kommentar (auszugsweise) Stellung:
„Nie zuvor wurde innerhalb der deutschen Sportwissenschaft über das Bundesinstitut für Sportwissenschaft, die für sie äußerst wichtige Institution, so fehlerhaft und interessensorientiert geschrieben, wie dies im Beitrag von Herrn Hollmann der Fall ist. Wer die Vorbereitung, Gründung, Entwicklung und die aktuelle Situation des Bundesinstituts für Sportwissenschaft aus eigener Anschauung beobachten durfte, und dabei das beispielhafte Engagement der Gründungsväter, der ersten wissenschaftlichen Mitarbeiter, der späteren Direktoren und ihren Führungsstäben miterleben, wer auch um die ehrenamtliche Mitarbeit in den Gremien dieser Institution Bescheid weiß, der kann sich über die unsachlichen Ausführungen nur wundern. [...]
Da dieser Beitrag im Fachorgan der Deutschen Sportmedizin erschienen ist, darf und soll er jedoch nicht unkommentiert bleiben. Gewiss ist es richtig, dass insbesondere die Sportmedizin mit ihren Repräsentanten maßgeblich an der Gründung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft beteiligt war, und ebenso richtig ist es auch, dass sie als Interessensgruppe ihre eigenen Vorstellungen in Bezug auf die Entwicklung dieses Bundesinstituts artikulierte. Nicht weniger richtig ist es jedoch, dass man darauf hinweisen muss, dass keine andere Teildisziplin innerhalb der Sportwissenschaft in vergleichbarer Weise von der Einrichtung des Bundesinstituts profitierte. Wer sich die Mühe macht und die Mittelzuwendung der vergangenen dreißig Jahre genauer analysiert, der wird erkennen, dass dabei nicht zuletzt die Ausstattung vieler sportmedizinischer Institute an den deutschen Universitäten profitieren konnte: Allen voran die Sporthochschule Köln, die Universität Freiburg und danach die Universitäten Paderborn und Saarbrücken. Weitere Universitäten wären zu nennen, wenn sie auch nicht in gleichem Maße profitieren konnten. Aus der Sicht aller übrigen sportwissenschaftlichen Disziplinen wurde schon sehr früh die Klage vorgetragen, dass das Bundesinstitut für Sportwissenschaft aus der Sicht aller übrigen wissenschaftlichen Disziplinen zum „Selbstbedienungsladen“ für die Sportmedizin geworden sei. Dabei ist es auffällig, dass sich diese Sportmedizin ihre wissenschaftliche „Exzellenz“ vor allem selbst attestierte, so auch im Editorial von Herrn Hollmann. Seine internationale Reputation weist man sich selbst zu, und im Vergleich zu allen übrigen wissenschaftlichen Teildisziplinen sieht man sich selbst als die eigentliche Wissenschaft des Sports.
Betrachtet man nun jedoch die jährlichen Berichte des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, die Beschreibung der Forschungsresultate aus den verschiedenen Auftrags- und Antragsprojekten, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Erkenntnisgewinne der sportmedizinischen Forschung sind durchaus gegeben. Als besonders bedeutsam sind sie jedoch zumeist nicht zu bezeichnen. Es findet teilweise eine „redundante“ Forschung statt, zahlreiche „Replikationsstudien“ drehen das Rad im Kreis, die empirische Qualität vieler Studien hat Mängel. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die „Koryphäen“ der deutschen Sportmedizin zum Beispiel großangelegte Forschungsprojekte durchgeführt haben, um den Nachweis zu erbringen, das anabole Steroide im Hochleistungssport keine Wirkung erzielen. In welchem Kontext solche Studien erfolgten und welche Folgen sie hatten, soll in dieser Stellungnahme nicht weiter verfolgt werden. Entscheidend ist jedoch, dass gerade angesichts des umfassenden Dopingproblems, an dem ganz wesentlich die deutsche Sportmedizin beteiligt ist, dieser Teildisziplin der Sportwissenschaft eher eine Phase der Selbstreflexion, Bestandsaufnahme und Neuorientierung zu empfehlen wäre. Prof. Hollmann hingegen glaubt aus der Position der Arroganz heraus, andere Disziplinen der Sportwissenschaft herabsetzen zu dürfen. Vom „Gießkannenprinzip“ der Mittelverteilung hätten demnach die sogenannten „Orchideenfächer“ profitiert, und er selbst biedert sich dabei dem Hochleistungs- und Spitzensport an, weil man diesen Orchideenfächern unterstellt, sie könnten keinen Beitrag zur Entwicklung des deutschen Spitzensports leisten. Wer solche Vorwürfe macht, dem ist in der Tat die Lektüre des „Lexikons der Ethik im Sport“ zu empfehlen, zu dem Prof. Hollmann selbst übrigens einen Artikel beisteuerte, es aber trotzdem als „artfremd“ bezeichnete. Vielleicht wäre es auch hilfreich, das sportwissenschaftliche Lexikon noch als weitere Publikation des Bundesinstituts beizulegen, damit es auch in der Sportmedizin möglich sein kann, dass man die Qualität wissenschaftlicher Theorien zu bewerten weiß, dass man erkennt, durch was sich wissenschaftliche Forschung auszuzeichnen hat und dass es ein Gebot der wissenschaftlichen Toleranz ist, jeder einzelnen Fachdisziplin ihre eigenen Gütemaßstäbe zuzusprechen.
Dem Deutschen Olympischen Sportbund wäre im übrigen zu empfehlen, sich entschieden gegen eine derartige Polemik zu wehren; denn die vom BISp finanzierten Finanz- und Strukturanalysen z. B. waren ohne Zweifel eine der wichtigsten Beratungsleistungen, die sowohl der deutschen Sportpolitik als auch den Funktionären der Sportfachverbände, den Landessportbünden und dem Deutschen Sportbund in den vergangenen fünfzig Jahren zur Verfügung gestellt wurden. Weitere Studien des Bundesinstituts könnten hier benannt werden.
Gewiss ist eine sachliche Kritik auch an der Arbeit des Bundesinstituts notwendig. Dazu hatten und haben jedoch alle Beteiligten ihre Möglichkeit, nicht zuletzt durch eine aktive Beteiligung an Projekten. Darüber hinaus wurden die Führungsstrukturen nicht zuletzt unter dem jetzigen Direktor Jürgen Fischer wesentlich demokratisiert und damit in vieler Hinsicht auch optimiert. All dies wird in den Ausführungen von Prof. Hollmann nicht einmal angedeutet. Er scheint sich vielmehr in der Rolle eines „Oberzensors“ wohlzufühlen und leitet damit Wasser auf die Mühlen jener, die sich schon seit längerem in der Öffentlichkeit als wissenschaftsfeindlich gegenüber dem Sport zur Darstellung bringen, ohne dass sie auch nur eine ernsthafte Alternative aufweisen könnten. Oder verbirgt sich hinter dem Angriff noch etwas viel Banaleres: nämlich die schlichte Absicht, das Bundesinstitut als Appendix an die Deutsche Sporthochschule zu holen?“